Erschöpfte Schöpfung? Charles Darwin und seine Wirkung
Colloquium Fundamentale Sommersemester 2009
Zum 200. Geburtstag von Charles Darwin wird das ZAK die Evolutionstheorie und ihre Wirkung in Wissenschaft und Gesellschaft aus der Perspektive verschiedener Fachbereiche untersuchen. Darwins Leistung und sein Beitrag zum Bewusstsein über den Wandel und die gleichartige Entstehung allen Lebens auf der Erde und dem damit verbundenen Bewusstsein über die relative Stellung des Menschen ist unbestritten. Die Evolutionstheorie erwies sich als eine Revolution, die alle Bereiche des Wissens radikal veränderte und kaum eine wissenschaftliche Disziplin unberührt ließ – seien es Biologie und andere Naturwissenschaften, Medizin, Anthropologie, Philosophie, Theologie, Soziologie, Kulturwissenschaft oder Ethik. Hierdurch änderte sich die Gesellschaft nachhaltig. Die Reihe geht nicht nur der Wirkung in der Wissenschaft nach, sondern auch den Fragen nach den diversen Interpretationen und Missverständnissen von Darwins Erkenntnissen, ihrem Einfluss auf Menschenbild und Weltanschauung und dem Verhältnis zur Religion. Darwins Veröffentlichung „Die Entstehung der Arten“ von 1859 erschütterte das Weltbild der viktorianischen Zeit und den Glauben an die göttliche Ordnung schwer. Der teleologische Ansatz, also die Vorstellung, dass die Entwicklung des Lebens einem sinnvollen Ziel folgt, wurde aus den Angeln gehoben. Dass der Tod somit als eine Voraussetzung von Leben und der Weiterentwicklung durch Variation, Mutation und Selektion verstanden wird, war für die gläubigen Christen nicht akzeptabel: Sie wollten mit dem Glauben den Tod überwinden. Die Evolutionslehre kann allerdings einen fundierten Schöpfungsglauben nicht widerlegen, wenn auch Darwins Erkenntnis im Widerspruch mit einem naiven Gottesbild steht. Die Evolution könnte mit einem Feuerwerk verglichen werden, dessen Mechanismen Darwin erklärte, nicht aber dessen zündendes Moment – etwa durch einen allmächtigen Schöpfer oder die Folge universaler Naturgesetze. Dennoch stehen bis heute einige Religionsgemeinschaften der Evolutionstheorie ablehnend gegenüber, allen voran die Kreationisten, die an einem puristischen Schöpfungsglauben festhalten. Heute werden nicht nur die Vielfalt des biologischen Lebens, sondern auch soziale Phänomene, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen und die Psyche des Individuums durch evolutionäre Gesetzmäßigkeiten gedeutet. So bedarf es einer differenzierten Betrachtung der Begriffe Darwinismus und Sozialdarwinismus. Über das Potenzial der Evolutionstheorie zur Erklärung des Sozial- und Moralverhaltens muss ebenso kritisch nachgedacht werden wie über das missverstandene Dogma des Fortschritts, die Optimierung und Auslese durch Konkurrenz. Inwiefern wird Darwins Lehre gar missbraucht? Wie können Wissenschaft und Weltanschauung, Idee und Ideologie klar unterschieden werden? Gibt es überhaupt eine kulturelle Evolution und verläuft diese ‚darwinistisch‘? Oder greifen kulturelle und biologische Evolution sogar ineinander und treiben sich gegenseitig voran? Dient Darwin der Legitimierung eines mit Ellenbogen durchgesetzten Verdrängungswettbewerbs? Der Mensch übt wiederum großen Einfluss auf die biologische Evolution aus, wobei die Auswirkungen auf das Ökosystem noch nicht absehbar sind.
Konzept und wissenschaftliche Leitung:
Prof. Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha, Gründungsdirektorin des ZAK
Organisation: Ina Scholl M.A.
Pressearbeit: Sigrid M. Heneka-Peters M.A.
Ort: Engesser-Hörsaal, Geb. 10.81, Otto-Ammann-Platz 1, 1. OG
Termine: Donnerstags (s.u.), 18h00 – 19h30
Veranstaltungsübersicht
Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie, Universität Kassel und Carnegie Institution of Science,
Stanford University (USA), Vorsitzender der AG Evolutionsbiologie, Verband Deutscher Biologen
Charles Darwins ‚Origin of Species‘ wird zwar häufig zitiert, aber selten im Detail studiert. Prof. Ulrich Kutschera wird in seinem Vortrag hervorheben, was Darwin tatsächlich sagte, wo er sich irrte und welche seiner fünf Theorien zum Artenwandel durch nachfolgende Forschungen bestätigt werden konnten und heute von Biologen als Tatsache akzeptiert werden. Er wird sich mit den Fragen auseinandersetzen, welche Rolle der Zufall in der Evolutionsgeschichte spielte, warum altruistisches Verhalten nicht im Widerspruch zu Darwins Selektionsprinzip steht und warum es in der Natur kein intelligentes Design gibt. Schließlich wird er seine neue integrative Theorie vom Verlauf und den Antriebskräften der Evolution vorstellen, die zwar über Darwins klassische Theorien hinaus führt, aber dennoch nicht deren Grundprinzipien widerspricht.
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Professor für Soziologie, Universität Augsburg
In der Soziologie gab es immer wieder den Versuch, Darwins Thesen zur modernen Evolutionstheorie auch auf die sozial-kulturelle Entwicklung anzuwenden. Diese soziologische Interpretation wird im Zentrum des Vortrags von Prof. Meyer stehen, in dem er auch die von William D. Hamilton vorgelegte Variante evolutionären Denkens aus den 1970er Jahren beleuchten wird. Diese erklärt vor allem das für Darwin rätselhaft gebliebene altruistische Handeln und wird mancherorts als „Zweite Darwinsche Revolution“ betrachtet. Es wird auch gezeigt, warum Darwins Theorie keineswegs im Widerspruch zum Schöpfungsglauben steht. Anschließend werden evolutionäre Hintergründe von Theorien zu Kooperation und Konflikt sowie Aspekte der sozial-kulturellen Entwicklung thematisiert, die mit den Grundannahmen Darwins kompatibel sind.
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Prof. Dr. Eve-Marie Engels
Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften, Fakultät für Biologie, Eberhard Karls Universität Tübingen
Darwins Name wurde häufig für ganz verschiedenartige ethische und politische Zwecke in Anspruch genommen und seine Metaphern wurden als Schlagworte für die jeweils eigenen Zielsetzungen der Rezipienten instrumentalisiert. Unter Berücksichtigung von Darwins Biografie und mittels einer eingehenden Analyse seines Werkes wird Prof. Engels Darwins Menschenbild und seine den Humanitätsidealen der Aufklärung verpflichtete Ethik darstellen. Darwin hatte eine dezidierte Vorstellung von moralischem Fortschritt in der Menschheitsgeschichte, die Fernstenliebe und Humanität gegenüber Tieren mit einschloss. Der Vortrag soll die Augen für diese wenig bekannte philosophisch-ethische Seite des berühmten Naturforschers öffnen.
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Professor Wissenschaftstheorie (Schwerpunkt Biowissenschaften), Universität Wien, Stellv. Vorsitzender des Konrad
Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung, Altenberg
Darwins Gedankengut über die Entstehung der Arten hat nicht nur unser Weltbild revolutioniert, sondern auch für einige Missverständnisse gesorgt. Als eine Pervertierung des Evolutionsgedankens gilt zum Beispiel heutzutage der Sozialdarwinismus, da dieser die Prozesse der Natur normativ auf die Gesellschaft zu übertragen versucht. Unter Berücksichtigung des darwinschen säkular-humanistischen Menschenbildes wird Professor Wuketits die verwickelten Zusammenhänge von Evolutionstheorie und Kultur beleuchten. Die dezidierte Analyse des ‚Darwinismus‘ soll auch auf die kaum beachteten Konsequenzen dieser Auseinandersetzung für die Diskussion ethischer und moralphilosophischer Fragen aufmerksam machen.
Obwohl die Evolutionstheorie seit 150 Jahren wissenschaftlich anerkannt ist, ist sie teilweise noch immer umstritten – vor allem in der kreationistischen Bewegung. Die Konflikte zwischen Wissenschaft und Kirche scheinen häufig im Streit um Fakten zu liegen, wie z.B. der Fall Galilei gezeigt hatte, sowie in dem Versuch, Religion als eigenständiges Phänomen zu eliminieren. Ambivalenzen gründen auch auf irreführenden Vorstellungen von der Evolutionstheorie, die auf kreationistischen Interpretationen beruhen. Werden religiöser Glaube und Evolutionstheorie dabei als Gegensätze dargestellt, anstatt sie als unterschiedliche Wege zum Weltverständnis zu bewerten? Wo liegen die Gründe für diese gegenseitige Akzeptanzproblematik und wie lässt sich die Diskussion rational führen
Prof. Dr. Dittmar Graf
Professor für Biologie und Didaktik der Biologie, Universität Dortmund
Prof. Dr. phil. Gereon Wolters
Professur für Philosophie und Geschichte der Wissenschaften, insbesondere der biologischen Wissenschaften, Universität Konstanz
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!!! Achtung Raumänderung: NTI-Hörsaal, Geb. 30.10, Engesserstr. 5 !!!
Die Teilnehmer werden Grenzfragen zwischen Naturwissenschaft, Theologie und Sozialethik diskutieren, die Haltungen der evangelischen und katholischen Theologen erläutern sowie kritische Positionen zur Evolutionstheorie und deren Argumentationsweise auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Auch wird der Fokus auf die Wirkungen der Evolutionstheorie in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gerichtet sowie Darwins Einfluss auf Wertvorstellungen und Ideologien beurteilt. Zudem werden die Diskutanten Formen der Popularisierung der Darwinschen Theorie sowie das damit zusammenhängende Problem der Ausweitung auf außernaturwissenschaftliche Bereiche zur Sprache bringen. Wie entstand der Mythos Darwin? Wie wird heute in Wissenschaft, Medien und im Alltag mit Darwins Theorie umgegangen und was können wir heute noch aus ihr lernen?
Professor für Biologie und Ev. Theologie, Wiss. Beirat des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft
Kaplan im Bistum Mainz, freigestellt zur Habilitation an der Universität Mainz, Geistlicher Leiter der Katholischen Jungen Gemeinde Mainz
Molekular- und Evolutionsbiologin, Mitglied im Darwin-Jahr Komitee
(Foto: Evelin Frerk)
Wissenschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, Textchef für das Magazin SZ-Wissen
Philosophie der Biowissenschaften, Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaften, Universität Gießen
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Illustration: Cécile Noël / www.framboise-noel.eu