Karlsruher Gespräche 2015
Wenn Bürgermeister die Welt regierten - Podiumsdiskussion
Catherine Trautmann
Referentin
Von 1989 bis 1997 und 2000/2001 war sie Bürgermeisterin von Straßburg und Präsidentin des Straßburger Hafens. Seit 2008 hat sie erneut das Amt der Präsidentin des Straßburger Hafens inne. Trautmann wurde 1997 zur französischen Ministerin für Kultur und Kommunikation ernannt und blieb bis zum Jahr 2000 im Amt.
Heute ist sie Mitglied des Stadtrats von Straßburg sowie Vizepräsidentin des Rats der Stadtgemeinschaft Straßburg, wo sie für die wirtschaftliche Entwicklung und die internationale Attraktivität der Stadt verantwortlich ist. Seit Oktober 2014 ist Trautmann europäische Koordinatorin für den Nord-Ostsee-Korridor.
Statements
1. Welchen Beitrag zur Lebensqualität und Lebendigkeit einer Stadt kann die Zivilgesellschaft durch aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger leisten?
In einer interkulturellen Stadt
- ist die Vielfalt eine Quelle für Lebendigkeit, Innovation, Kreativität und Wachstum;
- ist Vielfalt die Norm, und die Vielfalt von Herkunft und Identität muss bekräftigt werden;
- wird es Menschen unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds durch öffentliche Räume, Schulen, Wohnungen, Arbeitsstätten und kulturelle Foren ermöglicht, einander kennenzulernen, Ideen auszutauschen und auf produktiv-kreative Weise miteinander zu interagieren;
- spiegeln öffentliche Anhörungen und Debatten sowie öffentliche Politik die kulturelle Vielfalt der Gemeinschaft wider; kulturelle Konflikte werden akzeptiert und gelöst, häufig auf lokaler Ebene.
Eine Stadt bzw. eine Gesellschaft sollte Verbände darin bestärken, den interkulturellen Dialog zu fördern. Auf diese Weise können die Bürger verschiedener Gemeinschaften einander kennenlernen und über verschiedene Themen diskutieren.
Man muss die Bürger außerdem in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen. Eine Möglichkeit, wie dies funktionieren kann, ist der Council of Foreign Residents (Rat ausländischer Mitbürger) der Stadt Straßburg.
2. Welche Verantwortung trägt die Stadt für das Zusammenleben der Kulturen und die Herausbildung einer kollektiven Identität?
Städte tragen eine große Verantwortung für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen. Für alle Gesellschaftsgruppen muss ein Leben in Gleichberechtigung gewährleistet werden. Damit diese Vision Wirklichkeit wird, müssen die Städte eine interkulturelle Strategie entwickeln, öffentliche Räume und Institutionen schaffen und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften fördern.
Multikulturalismus ist heute der Dreh- und Angelpunkt der großen Herausforderungen, die mit der Gestaltung der Gesellschaft einhergehen. Migrationsprozesse sind mehr denn je ein Teil unserer Welt; die Globalisierung verstärkt und beschleunigt die Interaktion zwischen Individuen und Gruppen verschiedener Länder und Kontinente. Die neuen Technologien und die daraus resultierende Erweiterung der Kommunikationsnetze vervielfachen diese Interaktionen.
Mehr denn je bildet die kulturelle Vielfalt den Rahmen, innerhalb dessen sich Individuen, Gruppen und Organisationen weiterentwickeln werden. Das bringt Veränderungen für alle gesellschaftlichen Akteure mit sich. Heutzutage vermischen sich die Kulturen: Individuen gehören gleichzeitig mehreren verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften an. Gruppen, die nicht nur rein instinktiv handeln, können Grenzen überschreiten und proaktive Maßnahmen durchführen; ein Gefühl der Solidarität entwickeln; und erleben, wie nützlich ein kultureller Austausch sein kann.
Interkulturalität ist die Interaktion verschiedener kultureller Gruppen – nicht etwa ihre Nebeneinanderstellung oder Assimilation. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Interkulturelle Dynamiken entfalten sich innerhalb komplexer Wertesysteme im Austausch mit vielfältig ausgeprägten sozialen, religiösen, kulturellen, politischen und historischen Komponenten. Alle diese Dimensionen besitzen in unseren Bemühungen und unserer täglichen Agenda eine eigene Relevanz.
3. „Wenn Bürgermeister die Welt regierten“ (Benjamin R. Barber) … Wie könnten sie Probleme nationalstaatlicher Blockaden internationaler Politik lösen oder relativieren und neue Formen interkultureller Verständigung auf den Weg bringen?
Wie könnten sie Probleme nationalstaatlicher Blockaden internationaler Politik lösen oder relativieren und neue Formen interkultureller Verständigung auf den Weg bringen?
Beispiel: Der Council of Foreign Residents (Rat ausländischer Mitbürger) der Stadt Straßburg.
In Straßburg leben Menschen vieler unterschiedlicher Nationalitäten. Der Council of Foreign Residents beteiligt sich am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Stadt. Durch die Teilnahme am Rat können Ausländer
- ihre Meinung und ihre Vorschläge zu politischen Maßnahmen einbringen;
- die öffentliche Debatte bereichern, etwa zu Themen wie dem Kampf gegen Diskriminierung und dem Zugang zu Rechten;
- sich für die Anerkennung kultureller Vielfalt einsetzen und zu einem harmonischen Zusammenleben beitragen;
- sich für das Wahlrecht für Ausländer einsetzen.