Karlsruher Gespräche 2012
„Alles in (Un-)Ordnung? Neue Unübersichtlichkeiten in einer globalisierten Welt“
Wolfgang Gründinger
Referent
Wolfgang Gründinger, Jahrgang 1984, begann 2004 sein Studium der Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Regensburg und wechselte 2007 an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er sein Studium der Sozialwissenschaften als M.A. 2011 abschloss. Wolfgang Gründingers Thema ist die Zukunft der Welt: So befasst er sich als Sprecher der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ und Mitarbeiter der „Agentur für Erneuerbare Energien“ mit diversen, generationsübergreifenden Fragestellungen, die von Themen wie Umwelt und Energie bis zur internationalen Politik reichen. Seine erste Monografie „Aufstand der Jungen. Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können“ veröffentlichte er 2009. 2011 erschien „Lobbyismus im Klimaschutz“.
Das ZAK bat Wolfgang Gründinger, folgende Fragen zu beantworten:
1. Ist unser Bedürfnis nach Sicherheit gewachsen oder hat sich lediglich unsere Wahrnehmung von Unsicherheit verändert?
Sowohl als auch. Das moderne Sicherheitsgefühl ist mit dem Sicherheitsverlangen etwa der 1950er gewiss nicht auf einen Nenner zu bringen, erst recht nicht mit dem mittelalterlichen oder gar steinzeitlichen. Das ist aber nur recht und billig, denn schließlich geht es um den Schutz von Menschenleben. Damit untrennbar verbunden ist der fundamentale Wandel der Bedrohungslagen. Radioaktive Strahlung, Ozonloch oder Treibhausgase kann man weder fühlen, noch sehen, noch schmecken. Moderne Technikgefahren entziehen sich der Wahrnehmbarkeit der menschlichen Sinne. Sie müssen durch Wissenschaft aufgeklärt werden. Das kann auf die Wahrnehmung von Bedrohungslagen nicht ohne Wirkung bleiben. Zugleich gibt es natürlich seit jeher eine unterschiedliche soziale Akzeptanz bestimmter Risiken, beispielsweise je nachdem, ob sie natürlich gegeben sind, freiwillig eingegangen oder aufgezwungen werden. Auch daran ist aber prinzipiell nichts falsch, denn für ein Erdbeben lässt sich niemand verantwortlich machen, für einen fehlerhaft betriebenen Atomreaktor aber schon.
2. Inwiefern nehmen Interdependenzen zwischen einzelnen Risiken zu? Ist ein Dominoeffekt erkennbar?
In einer hochkomplexen und interdependenten Welt kann es keine gesellschaftlichen Entwicklungen geben, die vollkommen isoliert vor sich hinlaufen würden. Beispiel Energiepolitik: Atomkraft stößt im Betrieb keine Klimagase aus. Würde man aber auf die Atomkraft als globalen Klimaschützer setzen, holt man sich immense Gefahren der Weiterverbreitung radioaktiven Materials, des militärischen Missbrauchs, des Atommülls und von Nuklearunfällen ins Haus. Ist es sinnvoll, den Teufel der Klimakatastrophe durch den Beelzebub der Atomkraft zu ersetzen? Anderes Beispiel Bankenkrise: Die Wurzeln lagen freilich im verantwortungslosen Umgang mit Billigkrediten, der Undurchsichtigkeit der Finanzderivate und dem kurzfristigen Profitdenken an den Börsen. Doch der Auslöser waren gestiegene Energiepreise: Plötzlich konnten sich die Amerikaner mit ihren energieverschwenderisch gebauten Eigenheimen in den Vororten mit ihren übermotorisierten Fahrzeugen die Kosten für das Pendeln und das Heizen nicht mehr leisten. Auf einmal fiel auf, dass sie gar nicht kreditwürdig waren. Und schwupps, krachte alles zusammen.
3. Sollten angesichts der derzeitigen Krisenlage mehr Entscheidungskompetenzen auf die europäischen Institutionen/Organe verlagert werden?
Es gibt schon eine massive Verlagerung von Kompetenzen auf die EU. Das Gros nationaler Gesetzgebung ist die Umsetzung von Brüsseler Richtlinien und keine eigenständige Sache mehr. Das hat uns bisweilen ganz gut getan, siehe Nichtraucherschutz, Feinstaubrichtlinie oder Emissionshandel. Ob es aber wirklich weiterhilft, noch mehr auf die EU zu verlagern, ist fraglich. Wichtiger wären eine klare Aufteilung der Kompetenzen – wer darf genau was entscheiden? –, eine Demokratisierung der EU sowie eine Stärkung nationaler Parlamente gegenüber den Einflüsterungen von Regierungen und Lobbyisten.