Shi Ming - zu Gast beim Colloquium Fundamentale im WS 06/07 "Schattenseiten des Internets"
Shi Ming arbeitete als Journalist für den chinesischen Staats-rundfunk. Seit 1989 lebt er in Köln, wo er unter anderem für die China-Redaktion der Deutschen Welle tätig ist. Am 14. Dezember 2006 hält er am ZAK den Vortrag ‚Zwischen Transformation und Verbot: Der wachsende Einfluss des Internets in China‘.
Zwischen Transformation und Verbot: Der wachsende Einfluss des Internets in China - Ein Gespräch mit Shi Ming
Herr Ming, die Chinesische Regierung hat mit Google, Yahoo, Microsoft und anderen Firmen Verträge geschlossen, in denen diese sich bereit erklären, bestimmte Seiten und Inhalte für die Internetkunden in China zu sperren. Inwieweit kann das Internet unter diesen Bedingungen noch zur freien Meinungsbildung und Kommunikation beitragen?
Wir müssen uns zunächst klar machen, dass das Internet als Medium alleine nicht sehr viel aussrichten kann, sei es noch so modern ausgestattet. Letzt sind es die Menschen, die es nutzen und nutzen müssen. Diese Menschen gestalten mit oder ohne Zensur in China das Internet. Sie suchen Informationen und gehen dabei Umwege, die freilich durch die Zensur immer schmaler werden. Sie bilden Meinungen, auch wenn sie unterdrückt werden. Es gibt immer mehr Unterschriftsammlungen im chinesischen Internet zu allen möglichen Problemen und Themen, - freilich noch nicht zu den „politischen“ Themen. Es wird auch in Zukunft darauf ankommen, inwieweit Menschen in China, dort vor allem in den Städten, ihre Bedürfnisse nach freien Informationen und unbestraften Meinungsäußerungen verspüren und durchzusetzen gedenken. Davon wird abhängen, inwieweit das Medium Internet unter was für widrigen Umständen eine Rolle spielen wird.
Julien Pain, Internetexperte von Reporter ohne Grenzen, behauptet in einem Spiegelinterview, ihm lägen Informationen vor, die belegen, dass es aufgrund von Offenlegung von Kundendaten seitens Yahoo schon zu Verhaftungen in China gekommen ist. Er befürchtet das diese Praxis vor allem Journalisten und Dissidenten gefährden könnte. Wem nützt das Internet denn im Moment in China mehr: Menschen, die eine freie Gesellschaft anstreben oder den Kräften, die genau das verhindern wollen?
Dissidenten und Journalisten werden verfolgt. Das ist eine Tatsache, die sich allerdings nicht allein auf die Nutzung vom Internet beschränkt. Auch Buchautoren zum Beispiel kommen sehr schnell unter Beschuß, wenn nicht in den Knast, wenn die dort geäußerten Meinungen der Obrigkeit nicht geheuer sind. Das Internet als eine Plattform unterscheidet sich allerdings von sonstigen Medien darin, dass hier binnen Sekunden Interaktionen auftreten können, während beim Buchlesen die Reaktion äußerst langsam erst sich bemerkbar machen kann. Dies gilt sogar fürs Fernsehen. Die Interaktionen als ein Qualitätsmerksaml des Internets nützen, ganz neutral gesprochen, alljenen, die einen Austausch suchen, sei es auch nur Austausch unangenehmer Empfindungen. Und es dürfte dieser generelle Austausch sein, der dem „Herrschenden“ nicht so gut ins Programm passt, denn insbesondere in totalitären oder autoritäten Systemen findet zwischen „Herrschenden“ und „Beherrschten“ zumeist entweder gar kein Austausch oder nur Austausch, der von vornherein dem Regenten nützt. In diesem Sinne nützt nicht wirklich das Internet, sondern der dortige Austausch viel eher Menschen, die mehr austauschen wollen. Und die immer drakonischer werdende Zensur liefert ihrerseits einen Beweis von der Kehrseite: Der Austausch zwischen den Menschen durchkreuzt bereits allzu oft Kalkül und Pläne der oberen Zehntausende, nur zu eigenen Gunsten Politik zu machen. Deshalb - fast nur deshalb - streben sie ja eine immer perfektere, umfassendere Zensur an.
In Deutschland und anderen westlichen Ländern mehren sich hinsichtlich der Terrorgefahr durch extremistische Gruppierungen wie Al Qaida Stimmen, die eine stärkere Kontrolle des Internet befürworten. Welche Vorkehrungen kann man in Deutschland treffen um sicherzugehen, dass bei aller Sicherheit die Freiheit der Bürger nicht zu kurz kommt?
Die offene Gesellschaft, wie Deutschland sie heute vertritt, verkommt, wenn die Offenheit in dieser oder jener Form in Überflutungen und Überforderungen endet, etwa Informationsüberflutung oder Überforderung von unzähligen Ratgebern und Tippsverhökern. Deshalb ist nach meinem Dafürhalten wichtig, nicht generell von der Kontrolle des Internets zu sprechen, geschweige denn davon ausgehen zu wollen, dieses Medium total gläsern zu machen. Es ist viel wichtiger, das Internet als ein Medium interaktiver Offenheit zu gestalten. Das heißt konkret: Es muss auch an uns Bürgerinnen und Bürgern liegen, auf welchen Inhalt im Internet wir wie reagieren, und noch besser: Wie agieren wir, Mitglieder einer zivilen Gesellschaft, im Internet, um Reaktionen anderer zu erregen? Ohne diese Initiative zum interaktiven Austausch können wir meines Erachtens zwischen zwei genauso großen Übeln wählen: Entweder wissen wir aufgrund immer perfekterer Kontroll gar nicht mehr, wer aus welchem Grunde was für Informationen verbreitet oder versteckt, dies würde eine totale Disorientierung nach sich ziehen. Oder wir wissen alles, um nicht einordnen zu können, was wir wirklich noch wissen. Am Ende scheitern wir schon wieder an der Disorientierung. Und diese Disorientierung ist aus meiner Perspektive der Anfang für Ängste, Ungewißheit bis hin zur Panik, die ihrerseits Bürgerinnen und Bürger weich kochen, dass sie die Einschränkungen ihrer Bürgerrechte akzeptieren, um sich „sicherer“ zu fühlen.
Sehr geehrter Herr Ming, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.